Balkanisierung des Internet oder gesunde Konkurrenz?

Noch vor der endgültigen Umsetzung der von der ICANN verabschiedeten sieben neuen Top-Level-Domains wächst die Zahl der Anbieter von Alternativen, die teilweise schon länger im Geschäft sind als ICANN selbst.

Original-URL: http://www.politik-digital.de/edemocracy/icann/alter_icann.shtml

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ICANN.XXL
Balkanisierung des Internet oder einfach nur gesunde Konkurrenz?
Noch vor der endgültigen Umsetzung der von der ICANN verabschiedeten sieben neuen Top-Level-Domains wächst die Zahl der Anbieter von Alternativen, die teilweise schon länger im Geschäft sind als ICANN selbst. Was lange währte, schien endlich gut zu werden. Nach knapp zweijährigem Vorlauf der ICANN und mehreren Monaten Zeit, in der Bewerber Vorschläge für neue Top-Level-Domains einreichen konnten, verabschiedete die ICANN Ende 2000 sieben neue Top-Level-Domains (TLDs). Das Direktorium hatte aus 44 Bewerbungen folgende neue Domains erwählt: .aero für die Luftfahrt, .biz und .info als Konkurrenz zum bisherigen .com, .coop für genossenschaftlich organisierte Organisationen, .museum für Museen, .name als Kennung für Privatpersonen und .pro für berufliche Bezeichnungen.

Die ICANN, quasi das „Straßenverkehrsamt“ des Internet, bestimmt, wie eine Internetadresse auszusehen hat, sie errichtet und pflegt die „Wegweiser“ zu den Orten im Cyberspace. Neue Anbieter müssen sich noch ihre eigenen Trampelpfade um den ICANN-Highway herum schaffen. Es droht ein Parallelweb zu entstehen. Ganz unschuldig an dieser Entwicklung ist ICANN jedoch nicht. Einige der neuen Endungen sind auch Monate nach der Verabschiedung immer noch nicht zu erreichen und in der Zwischenzeit versuchen sich alternative Namensanbieter gegen oder neben der ICANN zu positionieren. Auch nach der Verabschiedung der neuen TLDs, oder gerade deswegen, melden sich Zweifler und Alternativanbieter zu Wort. Die drohende Namensknappheit im Internet sollte durch die neuen Endungen verhindert, zumindest aber eingeschränkt werden – nur ob ICANN mit den sieben neuen Endungen den richtigen Weg gefunden hat ist fragwürdig?

Es zeichnet sich ein Kampf der Kulturen ab: soll das Netz ein Abbild realer Regeln wie dem Markenschutzrecht sein, und trotzdem künstlich klein und überschaubar gehalten werden? So sieht momentan zumindest die Strategie von ICANN aus, zuletzt bestätigt durch die Verabschiedung von „nur“ 7 neuen Endungen. Oder ist es vielmehr wichtig, dass genug Platz für alle da ist, mit der Folge einer „Entwertung von Domainnamen durch Inflationierung des Angebots„, wie es der Internetpionier Jon Postel schon 1995 plante.

Der Namensraum in der heutigen Form, spezifiziert durch das sogenannte Domain Name System (DNS), wurde Mitte der 80er Jahre im Internet eingeführt und hat eigentlich „nur“ die Vergabe von Namen an Computer und Netzknoten zur Aufgabe. Diese Namen werden dann durch spezielle Server (Rootserver) mit der eigentlichen Adresse , der IP-Adresse, eines Computers in Verbindung gebracht. Für den einzelnen Netzrechner ist es nicht mehr notwendig, alle Adressen der angeschlossenen Systeme zu kennen. Soll eine bestimmte Adresse abgefragt werden, so wird diese Anfrage an einen Rootserver weitergegeben, der dann Weg und Ziel zum gesuchten Server zurückgibt.

Aufgabe der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) ist die Verwaltung und Betreuung dieser zentralen Rootserver, welche die Wurzel des hierarchisch geordneten Namensraumes bilden. Nachgeordnet sind die Top Level Domains, die wie auf einer Postadresse das Land, die gröbste Information zur Weiterleitung bieten. Die ICANN kann festlegen, welche TLDs es gibt, welche Adressen erreichbar sind, und wo entsprechende Anfragen hingeleitet werden. Aus diesem Grund kommt ICANN eine gewisse Entscheidungsmacht zu, die viele Kritiker auf den Plan ruft, besonders angesichts of beschworenen US-amerikanischen Einflusses auf die ICANN und dem undurchsichtigen Verfahren, mit dem die neuen Endungen beschlossen wurden.

alternativen.faq
Seit einigen Jahren – also auch schon vor ICANN – stellen alternative Anbieter neue Toplevels bereit. Insgesamt kann der Nutzer – nach etwas mehr Zeitaufwand für die Recherche – aus mehreren 100 verschiedenen Endungen wählen, Tendenz steigend. Besonders findige User können sich ihre eigene Endung sogar selbst zurechtschneidern, sofern sie das gut begründen können.

Die inzwischen wohl prominenteste Endung „.biz“ (dot-biz) sorgt nun für Probleme, da die ICANN ihrerseits diese Endung in ihr Angebot aufgenommen hat. Die mehreren tausend Kunden des Alternativanbieters bizltd.com, der seit 1995 tätig ist, sehen sich nun der Qual der Wahl ausgesetzt: Sie können zum einen ihre bestehenden Adressen nocheinmal bei „ICANN-approved“ Anbietern registrieren, was einen doppelten Verwaltungsaufwand und nicht zuletzt auch doppelte Gebühren bedeuten würde. Alternativ dazu können sie auf das Durchsetzungsvermögen von bizltd.com setzen und müssten im schlimmsten Fall mit ansehen, wie unter „ihrer“ Adresse plötzlich eine ganz andere Seite erscheint, je nachdem welche Einstellungen der Nutzer verwendet.

../technik
Die bisherigen dot-biz Adressen sind nur erreichbar, wenn ein Nutzer auf seinem Computer eine kleine Einstellung verändert, so dass er nicht mehr/nicht nur auf die Root Server von ICANN zugreift. Ein kleines Tool zum runterladen hilft beim Zugriff auf das DNS der Open Root Server Confederation (ORSC), über die sich auch so illustre Endungen erreichen lassen wie dot-god oder dot-earth, aber auch zahlreiche (jedoch immer noch nicht alle !!!) andere. Bei manchen Anbietern ist es auch notwendig, ein extra-Plug-In runterzuladen. Im Unterschied zur vorangegangenen Variante werden in diesem Fall keine Grundeinstellungen auf dem Rechner verändert sondern die Eingabe von bestimmten Adressen wird gefiltert und bei Bedarf auf den richtigen Weg (vorbei an ICANN & Co.) gebracht.

Durch diesen Mehraufwand, das herunterladen und installieren verschiedener Zusatzprogramme, bleibt die breite Resonanz auf die alternativen Anbieter jedoch begrenzt. In den meisten Fällen hält aber schon die schlichte Unwissenheit ob dieser Möglichkeiten selbst technisch versiertere Nutzer fern. Die aus diesem Grund nur langsam steigende Nutzerzahl wirkt sich wiederum negativ auf die Zahl derjenigen aus, die das Risiko eingehen, eine Site unter einer der „neuen“ Toplevels zu betreiben. Und bei mangelnden Angeboten nehmen noch weniger Nutzer die Mühen auf sich, die Grenzen „ihres“ Cyberspace auszudehnen new.net
Our primary objectives are to sell domain names that individuals and companies genuinely want, and to make the Internet an easier place for users to find what they are looking for.“ (new.net – Website)

Um diesen negativen Netzwerkeffekt zu umgehen hat die seit März 2000 arbeitende Firma new.net eine neue und scheinbar ziemlich erfolgreiche Variante gewählt. Durch die Zusammenarbeit mit mehreren großen Internetanbietern ist es new.net-Kunden möglich, auch ohne nutzerseitige Veränderungen erreichbar zu sein, z.B. mit einer dot-gbr Adresse. Dabei werden auf Anbieterseite entsprechende URLs einfach umgeleitet. Surfer müssen keinerlei Veränderungen an ihrem System vornehmen und gelangen trotzdem auf die Seiten der new.net-Kunden. Nach eigenen Angaben lassen sich so bereits über 40 Milllionen Nutzer erreichen: auch hier ist die Tendenz steigend. New.net ist somit ein perfektes Beispiel dafür, wie kommerzielle Anbieter die Strukturen des Netzes (hier also auch die von ICANN vorgegebenen) überwinden und damit neue Fakten schaffen.

beat-nic.de
Was wir anstreben ist eine Demokratisierung der Domainvergabe-Praxis im Internet“ (P. Bernhard, cube)

Ähnlich, aber auf den ersten Blick doch nicht gleich geht beat-nic vor. Dieses Konsortium um die Firma cube bietet Domains unter 20 neuen TLDs kostenlos an – bisher wurden knapp 7500 Adressen von ungefähr 1500 Usern beantragt. Das selbsterklärte Ziel ist es, der Open Root Server Confederation (ORSC) mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Andere Absichten lassen sich nur erahnen, sollten allerdings einmal die Alternativbewegungen mit in die ICANN oder eventuelle Nachfolger eingebunden werden, so wäre diese Vorarbeit für die Beteiligten kein Nachteil. Der einzelne Nutzer muss, um TLDs wie dot-edv ansteuern zu können, über ein kleines Extraprogramm das Blickfeld seines Browsers um das DNS der ORSC erweitern.

Die ORSC (in Anlehnung daran auch beat-nic) will aber, laut Pascal Bernhard, von cube nicht „nur eine Alternative, sondern ein Komplement zu der ICANN sein. Wer xyz.com, xyz.net, xyz.org registrieren will, kann zu ICANN gehen, wer xyz.buch registrieren will, kann zu uns [beat-nic.de] kommen. Und wer xyz.biz registrieren will soll zu BizTLD.net gehen dürfen.“ ICANN soll also nicht durch die ORSC ersetzt sondern ergänzt und herausgefordert werden. Auf der Webseite der ORSC ist dazu zu lesen: „We recognize that someone else probably should be in control of the DNS and we are willing to work towards a consensus on defining „who“ that entitiy is both at a macro and micro level.“ Will man den atlantic.ocean sehen, eine der Adressen, die sich über das „alternative“ DNS erreichen lässt, bedeutet das für den Nutzer nicht, dass er auf atlantic-ocean.com oder andere „konventionelle“ Websites verzichten muss.

future.god
Wie wird es nun weitergehen? Diese Frage stellt man sich nicht nur bei den derzeitigen Inhabern von dot-biz Adressen, die kollidierende Domains, also zwei verschiedene Websites unter der gleichen Adresse befürchten müssen, wenn ICANN seinen Kurs weiterfährt. Sollte sich ICANN und die nahestehenden Organisationen, wie das US Department of Commerce durchsetzen, droht Stabilität – im Sinne von (nur) einer zentralen Stelle, die alle Entscheidungen trifft und Einflüsse von außen – je nach Gutdünken – hören oder missachten kann.

Die Anbieter von alternativen TLDs bieten zwar eine Unzahl an neuen Endungen, laufen dabei aber Gefahr, Alternativnetze zu errichten. Die ICANN ist nun im Zugzwang, ihr DNS auch für diese Alternativen zu öffnen. Auf jeden Fall sollte vermieden werden, kollidierende TLDs zu erzeugen. Darum sollte die ICANN mit bizltd.com kooperieren und nicht ihre Vormachtstellung durchsetzen. Bei dieser Diskussion außen vor bleibt bisher die Frage nach der Schutzbedürftigkeit von Marken im Internet. Sollten Marken auf jede neue TLD gleichermaßen übertragbar sein, könnte Coca Cola alle Domains blockieren, die nur entfernt mit der Marke zu tun haben, wie beispielsweise coca-cola.fan als Webseite für alle Fans dieses Soft-Drinks. Das Ganze ist zudem Ausdruck des netzimmanenten Problems, dass es keine allseits anerkannte Regierung des Internet gibt, welche die Geschicke und die Entwicklung des Netzes lenken kann. Vielleicht müssen aber nur einfach – wie im wahren Leben – Regierung und Opposition oder verschiedene Regierungen zusammen Politik machen.

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Weiterführende Links:

  • Dossier
  • ICANN: Zwischen Weltregierung und Provinzbehörde
  • Hintergrund: Top-Level-Domains
  • Stauende? Die neuen TLDs
  • Aufgaben der DENIC
  • Interview mit Prof. Wolfgang Kleinwächter zum ICANN-Treffen in Marina del Rey
  • Andy Müller-Maguhn macht das Rennen
  • Digitales Deutschland?
  • ICANN – Die Qual der Wahl
  • Einer wird gewinnen
  • ICANN – die geheime Internet-Regierung? Gastkommentar von Steven Hill
  • Was regiert das Internet? Interview mit Larry Lessig
  • ICANN – Eine Regierung für das Internet
  • Toplinks zu diesem Thema
    Links im Internet:
  • ICANN-Treffen in Stockholm
  • Open Root Server Confederation
  • The ICANN Movie (witzige Darstellung der Geschehnisse)
  • Memorandum des DoC zu ICANN
  • Firmennamen im Internet
    Anbieter von Alternativen TLDs
  • new.net
  • bizltd.com
  • beat-nic
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