Die Berliner Zeitung über geld-ist-alle.de

„Wenn Sie diese Zeilen lesen, – sagen wir mal am Freitag, um 7.30 Uhr in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit – werden es bereits 6,5 Millionen Euro mehr sein. Glauben Sie nicht? Dann klicken Sie mal die Webseite Geld-ist-alle.de an.“
erschienen am 01.11.2002 in der Berliner Zeitung


Zuschüsse helfen längst nicht mehr

Christine Dankbar

Hat das eigentlich alles noch Sinn? In der Minute, in der dieser Satz geschrieben wird, hat Berlin exakt 46 315 256 588 Euro Schulden. Wenn Sie diese Zeilen lesen, – sagen wir mal am Freitag, um 7.30 Uhr in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit – werden es bereits 6,5 Millionen Euro mehr sein. Glauben Sie nicht? Dann klicken Sie mal die Webseite Geld-ist-alle.de an. Dort gibt es so etwas Ähnliches wie einen Stromzähler. Die endlos weiterratternden Ziffern geben jedoch keinen Energieverbrauch an, sondern sind der Countdown bis zum endgültigen finanziellen Zusammenbruch Berlins. Der scheint unausweichlich: Jede Stunde steigen die Schulden dieser Stadt um mehr als 400 000 Euro. Das jedenfalls ist besagter Web-Seite zu entnehmen. Sie wurde von zwei Studenten eingerichtet, die dazu aufrufen, dass Berlin seine Insolvenz erklärt. Gleichzeitig fordern sie, dass der Bund mehr Geld gibt – und dass die Landesbediensteten auf zehn Prozent ihres Gehalts verzichten, natürlich auch die Senatsmitglieder.
Uns ist nicht überliefert, wie die Gewerkschaften darauf reagiert haben. Der Bundesfinanzminister jedenfalls hat schon mal abgesagt. Wahrscheinlich hat er auch mal zum Schuldenzähler geklickt und sich nach ein paar Minuten gesagt: Das ist zwecklos. Der Mann versteht schließlich was von Haushaltslöchern. Auf einigen der größten sitzt er ja selber.

Wir Laien dagegen sitzen seltsam fasziniert vor dem Schuldenzähler. Nach einigen Minuten kann man den Finanzminister schon besser verstehen. Eigentlich ist Berlin ja auch schon längst über das Stadium hinaus, in dem Zuschüsse helfen. Das Land sollte nicht Insolvenz anmelden, sondern sich selbst zum Entwicklungsland erklären. Dann müsste der Senat nicht mehr länger mit dem strengen Hans Eichel verhandeln, sondern hätte es mit der freundlichen Heidemarie Wieczorek-Zeul zu tun. Und die Entwicklungshilfeministerin befürwortet den Schuldenerlass für arme Länder.

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